28.05.2017
Lettland-Spendenaktion 2017
15 Tonnen Hilfsgüter wurden zum 9. Mal nach Lettland gebracht. Eine enorme Leistung, die ohne die Mithilfe und Spenden unserer Mitglieder und den Mitbürgern aus dem Umland nicht möglich wäre. Vielen herzlichen Dank.
Neben Sven Zahn, Geschäftsführer der der Eurotrade Flughafen München Handels-GmbH, und Thomas Bihler, 1. Vorsitzender vom Flughafenverein München e.V., war unter anderem auch dieses Jahr wieder Hans Götz, aktives Mitglied vom Flughafenverein München e.V., dabei, der einen eindruckvollen und auch nachdenklichen Bericht verfasst hat:
Erdung – oder eine Reise nach Jekapils
Nach insgesamt ca. 3 Stunden Flug sind wir an dem schönen Flughafen in Riga angekommen. Wir, das sind Thomas Bihler, Sven Zahn und Hans Götz. Von Riga geht es dann mit dem Auto weiter entlang des schönen Flusses Düna in Richtung weißrussischer Grenze. Wir fahren vorbei an - nach deutschen Verhältnissen - unendlich großen Felder, riesigen Birkenwäldern und unglaublich vielen Storchennestern. Nach ca. 2 Stunden Fahrt sind wir in Jekapils angekommen.
Nachdem wir unser Gepäck in dem einzigen und gewöhnungsbedürftigen Hotel untergebracht haben, treffen wir uns zum Abendessen mit Sylvia und dem Bürgermeister der Region Jekapils. Wir kennen Sylvia nun seit einigen Jahren, aber sie begeistert uns immer wieder. Sylvia dürfte so um die 75 Jahre alt sein. Da sie viele Jahre als Deutschlehrerin gearbeitet hat, spricht Sylvia sehr gut Deutsch und ist äußerst gebildet. Sie scheint alle Menschen in Jekapils persönlich zu kennen und sie erzählt uns mit einer außergewöhnlichen Tiefe und mit einem großen, tiefen Mitgefühl über die Schicksale der Menschen in der Region. Sylvia strahlt eine Tiefgründigkeit aus, die wir in unserer schnelllebigen Zeit zuhause kaum mehr kennen. Wir erfahren viel über Lettland, über das Verhältnis der Region zu Russland und über die soziale Entwicklung in Jekapils. Wir erfahren, dass die jungen Menschen – sofern sie in der Lage sind – die Region verlassen und nur die Alten zurückbleiben. Wir beschließen den Abend mit Gesprächen über Weltpolitik und einen typischen lettischen Kräuter- und Heilschnaps, dem lila Balsam.
Am nächsten Tag in der Früh werden wir von der Sozialarbeiterin und einer Übersetzerin abgeholt und wir besuchen das örtliche Altersheim. Thomas bemerkt, dass das Altersheim mittlerweile in einem sehr gutem Zustand ist. Er erzählt von den katastrophalen hygienischen Verhältnissen vor einigen Jahren und er zeigt uns die Einrichtungsgegenstände und die medizinische Geräte, die der Flughafenverein München e.V. die letzten 8 Jahre zur Verfügung gestellt hat. In diesem Jahr ist ein Fernseher für den Aufenthaltsraum der Höhepunkt für das Altersheim. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie das Altersheim vor 8 Jahren ausgesehen hatte ...
Unsere nächste Station ist die Familie Lionova. Es ist mein zweiter Besuch und die Familie hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, den ich nie wieder vergessen werden und ich habe bestimmt hunderte Male zurück in Deutschland davon erzählt. Wir verlassen Jekapils und fahren ca. 20 Minuten über Feldwege vorbei an einzelnen Gehöften in ein großes Waldgebiet. Oft kann man nicht erkennen, ob die Häuser bereits verlassen oder noch bewohnt sind, der Zustand ist jedoch erschreckend. Schließlich erreichen wir die Familie Lionova. Die fünfköpfige Familie lebt in einer winzigen Blechhütte ohne Strom und ohne Wasser. Der Vater ist nach einem Unfall an einen Rollstuhl gefesselt und kann die Hütte nicht verlassen. Vor der Hütte warten Liene – eine drahtige und gutgelaunte Frau um die 35 - und ihre drei blonden Kinder, ein Junge und zwei Mädchen. Die hygienischen Verhältnisse sind unvorstellbar. In der Hütte sind unzählige Mücken und auch Hühner, ich möchte mir nicht vorstellen, welche Tiere hier abends sind. Wir bekommen Kaffee und Selbstgebackenes angeboten, aber es fällt mir schwer mich zum Essen zu überwinden. Thomas erzählt uns, dass der Zustand vor Jahren noch viel schlimmer war. Liene sagt uns, dass sie stundenlang mit den Kindern im Wald ist und Beeren pflückt, um diese dann auf dem Markt zu verkaufen. Sie erzählt uns von stundenlangem Ackern, Holzhacken, Reparaturen am Haus ... wir sehen ihre Hände und glauben ihr jedes Wort. Der Flughafenverein unterstützt die Familie bereits seit einigen Jahren. Später am Abend wird uns Sylvia erzählen, dass Liene ihr sagte „Ich dachte, in meinem Leben gibt es keinen Ausweg mehr ... dann ist ein Wunder geschehen“. Später am Abend stellen wir uns die Frage, was soll aus den Kindern in dieser Umgebung werden, wenn sie älter sind. Wir haben keine Antwort.
Die nächste Station ist die Verteilung der Hilfsgüter. Die Verwaltung von Jekapils hat die Verteilung der 15 Tonnen Hilfsgüter auf 6 Bezirke aufgeteilt. Wir erreichen die erste Verteilstation, ein altes Verwaltungsgebäude. Es warten ca. 50-60 Menschen vor dem Gebäude. Die Hilfsgüter liegen bereits vorsortiert auf Tischen und auf dem Boden. Wir treffen den Bezirksverantwortlichen, er begrüßt uns und hält eine kurze Ansprache. Anschließend beginnt der Sturm auf die gespendeten, gebrauchten Kleidungsstücke. Die Menschen packen alles in ihre mitgebrachten, riesigen Tüten. Ich hab ein seltsames Gefühl aus Scham, Mitleid und Freude und es stellt sich mir die Frage, warum es diese Ungerechtigkeit auf der Welt gibt. Wir schauen in die Gesichter der Menschen, viele sind vom Leben schwer gezeichnet und der Alkohol tut vermutlich sein Übriges. Aber wir sehen viel Dankbarkeit und Freude. Die Sozialarbeiterin erzählt uns, dass an den andern Verteilstationen dasselbe passiert.
Unsere letzte Station ist ein schwangere, alleinerziehende Frau mit fünf Kindern. Wir besuchen sie in einer Sozialwohnung, die Ausstattung und der Zustand der Wohnung ist erbärmlich. Die Frau erzählt uns, dass ihr Mann nun in England ist und wohl nicht mehr zurückkommen wird. Mit fünf Kindern zwischen 3 und 8 Jahren, darunter Zwillinge, kann sie auch nicht mehr arbeiten. Die Kinder wirken nicht unzufrieden, einer ihrer Söhne zeigt uns stolz seinen Arm. Der Arm war vor einiger Zeit gebrochen und er ist schief angewachsen ...
Am Abend treffen wir uns wieder mit Sylvia. Sylvia konnte uns aus gesundheitlichen Gründen zum ersten Mal nicht auf unserer Tour begleiten, daher erzählen wir ihr ausführlich von unseren Erlebnissen. Wir treffen auf eine ehemalige Schülerin von Sylvia und wir sind beeindruckt von dem tiefen Respekt, den sie Sylvia entgegen bringt. Später zurück im Hotel verarbeiten wir die Eindrücke des Tages. Wir diskutieren, was unsere finanzielle Unterstützung wohl bewirkt, wir diskutieren wie man der Region noch besser helfen könnte und dass diese 15 Tonnen leider auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Wir reden auch über den Flughafenverein und über die Unterstützung durch die Flughafen München GmbH und durch die Eurotrade. Wir philosophieren über Hardy Kortmann, durch dessen Initiative die Hilfe in Lettland erst entstanden ist und über Franz Ganslmayer, der jedes Jahr den Transport der Hilfsgüter durchführt. Schließlich beenden wir einigermaßen zufrieden den Abend.
Am nächsten Tag machen wir uns wieder auf die Heimreise. Auf der Autobahn werden wir von der lettischen Polizei angehalten. Wir müssen 80 EUR wegen zu hoher Geschwindigkeit bezahlen. Wir haben den Polizisten erzählt, warum wir in Lettland sind, wir mussten die Strafe trotzdem zahlen. Schließlich kommen wir sehr, sehr geerdet zu Hause an und manche unserer Probleme kommen uns nicht mehr so wichtig vor – zumindest für einige Zeit.